Urlaub für Arbeit: von Äpfeln, Lämmern und WWOOF – Tag 3

Vogelsbergkreis Schwalmtal Ober-SorgEs ist kurz nach 7 Uhr und ich bin wach. Kaum zu glauben. Die Schmerzen sind nicht mehr stechend, sondern nur noch dumpf. Na, wird doch, denke ich. Mein Körper gewöhnt sich an die ungewohnte Form von Arbeit. Und das scheinbar recht schnell. Eine gute Voraussetzung für den Fall, dass ich einmal wider Erwarten auf einen landwirtschaftlichen Beruf umsatteln möchte. Ich springe mit geradezu jugendlichem Elan aus dem Bett, atme erschrocken tief ein und verfluche meinen Rücken. Da habe ich mich wohl zu früh gefreut. Aber trotzdem muss ich mich jetzt fertig machen. Schließlich möchte ich etwa umd die Mittagszeit nach Hause fahren. Und die Schafzäune warten immer noch auf Jürgen und mich. Heute muss das doch endlich einmal klappen!

Barbara und Jürgen müssen sich kurz von der Überraschung erholen, dass ich schon „so früh“ wach bin. Und haben eine schlechte Nachricht: Das Lämmchen ist in der Nacht gestorben. Ich schlucke. Dann hat der kleine Kerl am vergangenen Abend doch nicht ohne Grund so erbärmlich geblökt. Vermutlich eine Kolik oder ähnliches. Aber Barbara meint, es wäre wahrscheinlich Glückssache gewesen, das zu erkennen und auch so zu behandeln, dass man das Lamm noch hätte retten können. Die Natur kann schon grausam sein. Aber auch das gehört eben zum Landleben dazu. Schlimm ist daneben der finanzielle Verlust: Bis zu 250 € kann ein Züchter für ein Lamm mit richtiger Kennzeichnung bekommen. Das Lämmchen hatte aber als erstes der bisher auf dem Hof zur Welt gekommenen Lämmer eine Fehlzeichnung. Trotzdem hätte es als Schlachttier noch etwa 150 € eingebracht. Auch ein Biohof darf eben die wirtschaftliche Seite nicht vergessen.

Weideprobleme
Vogelsbergkreis Schwalmtal Ober-SorgDann erklärt Jürgen, dass wir heute tatsächlich Schafzäune ab- und aufbauen und die Alpinen Steinschafe umweiden können. Außerdem muss ich ja auch die Highland Cattles kennenlernen. Aber vorher kommt noch eine fränkische  Züchterin aus Niedersachsen – das nenne ich mal exotische Kombination – vorbei. Sie holt einen Bock ab, den meine Gastgeber bei einer Zuchtschau für sie mitgenommen und auf ihrer Weide „zwischengeparkt“ haben. Glücklicherweise ist Feiertag und die Straßen sind frei. Ich könnte mir trotzdem etwas Schöneres vorstellen, als zu dieser Uhrzeit stundenlang im Auto zu sitzen, um einen Bock abzuholen. Mit ihrem Wagen käme die Züchterin nicht bis zur Weide, also wird ihr Anhänger kurzerhand an Jürgens Geländewagen gehängt. Gemeinsam mit der Züchterin fahren wir zur Weide, laden den Bock in den Anhänger und hängen den diesen schließlich wieder an ihren Wagen. Sie verabschiedet sich und macht sich auf den Rückweg in den Norden.

Biohof altdeutscher Hütehund Flarup Hessen VogelsbergkreisNun geht es aber zu den Schafzäunen, oder? Nun ja, mh, joah. Jürgen muss den Tieren noch Wasser bringen. Also packe ich in der Zeit schon einmal, bringe alles ins Auto, vertreibe Berta aus meinem Bett und ziehe es ab. Barbara und ich setzen uns die Küche und unterhalten uns noch ein wenig. Weiden sind in der Gegend eher Mangelware. Wenn also eine Weide verkauft oder verpachtet wird, findet sich schnell ein Interessent. Ein zusammenhängender Hektar Weide ist ein selten zu erfüllender Traum, Hanglage häufig und die kleinen Weidestückchen sind oft in der Gegend verteilt, sodass Jürgen und auch andere Landwirte den ganzen Tag von einer Weide zur nächsten unterwegs sind. Dafür entfällt zumindest für Jürgen die Arbeit im Stall: Die Tiere verbleiben ganzjährig auf den Weiden und erhalten im Winter „nur“ zusätzliches Futter und Wasser.

Endlich Schafzäune!
Als Jürgen zurückkommt, essen wir erst einmal die Reste vom Flammkuchen. Eigentlich mag Jürgen keinen Flammkuchen, findet meinen aber toll – und ich bin zugegebenermaßen ein wenig stolz. Danach geht es endlich los: Wir fahren zu einer kleinen Weide, auf der aktuell kein Vieh steht. Dort bauen wir gemeinsam die beiden Zäune ab. Ich ziehe die Pfähle aus dem Boden und lege sie mit den Knotengittern der Reihe nach auf den Boden. Jürgen kommt hinter mir her und legt die Knotengitter so aufeinander, dass er den jeweils nächsten Pfahl in der Hand hält und die Gitter herunterhängen. Am Ende der Reihe rollt er den Zaun zusammen und verschnürt ihn.

Mit den beiden Bündeln im Wagen fahren wir zu der wunderschön gelegenen Weide, auf die die Schafe umgesiedelt werden sollen. Dort beginnen wir, den neuen Weideplatz abzustecken. Im Grunde ist es fast wir vorher, nur andersherum: Jürgen nimmt die Bündel, rollt sie aus, ich nehme sie von der Wiese auf, ziehe die Netze straff und ramme die Pfähle in den Boden. Relativ schnell entsteht so etwa die Hälfte eines rechteckigen Platzes. Zwischendurch platzt an meinem rechten Zeigefinger die ansatzweise verheilte Blase vom Keltern wieder auf und ich blute. Na toll, ausgerechnet jetzt. Ich habe nichts zum Abtupfen und nuckele ein wenig an der dreckigen Hand herum. Dann muss ich seufzend kapitulieren und wische das immer weniger nachfließende Blut einfach an der Hose ab. Inzwischen ist eh alles dreckig, was soll es also.

WWOOF Bauernhof Vogelsbergkreis Biohof Bioland Schafe umweiden

Nachdem wir mit dem Aufstellen der beiden Zäune fertig sind, fahren wir zu der Weide, auf der die Alpinen Steinschafe stehen. Ich bleibe außerhalb des Zaunes und schließe das Stück wieder, durch das Jürgen auf die Wiese fährt. Er öffnet den Anhänger und wie durch ein Wunder läuft die kleine Herde fast wie von selbst zum Anhänger und geht hinein. Jürgen ist begeistert. Wir können also sofort loslegen und die Zäune, die wir noch benötigen, abbauen.

Also das Ganze noch einmal von vorne: Pfähle aus dem Boden ziehen, Gitter auf den Boden legen, Zaun einsammeln, einrollen, verschnüren und in den Wagen legen. Als wir so zwei Zäune abgebaut haben, will Jürgen zur neuen Weide fahren. Ich wage einen Einspruch: Wenn wir schon einmal da und vor allem zu zweit sind, können wir die restlichen zwei, drei Zäune doch auch direkt mitnehmen. So sehr wird das meine Abfahrt nicht verzögern. Schließlich sind wir inzwischen ein gut eingespieltes Team und recht flott. Jürgen stimmt zu und so machen wir weiter.

Auf ins neue Heim
WWOOF Bauernhof Vogelsbergkreis Biohof Bioland SchafeAls die Weide quasi aufgelöst ist, fahren wir zu der anderen Weide und stellen zwei weitere Zäune auf. Dann ist die Weide fertig. Ich streue etwas Futter aus und bringe Wasserkanister, Salzleckstein und Schüsseln zum Stall, während Jürgen die Zäune noch einmal kontrolliert und an den Enden zusammenbindet. Dann fährt er den Anhänger rückwärts an ein offenes Stück des Zauns heran, lässt die Rampe herunter und die Schafe stürmen auf ihre frische, saftige neue Weide. Wie ein kleiner Rasenmäher laufen sie nebeneinander her und grasen das Grün ab. Wir sind vergessen. Jürgen fährt den Wagen wieder aus dem abgezäunten Bereich, ich schließe die Lücke und nach etwa anderthalb Stunden „Zauneinsatz“ geht es ab nach Hause.

Am Haus angekommen wasche ich mir kurz die Hände und lade zwei 5-Liter-Pakete Apfelsaft ins Auto, die ich für meine Schwester und meine Eltern gekauft habe. Dann schenkt Barbara mir noch ein 3-Liter-Fässchen, worüber ich mich riesig freue, und wir verabschieden uns. Ich bin bin einige Stunden länger geblieben als ich geplant hatte. Die vergangenen beiden Tage waren einfach so schön, dass ich mich nicht trennen konnte. Und außerdem mussten wir natürlich noch die Schafzäune umstellen, da kann ich doch nicht einfach vorher abhauen! Die beiden haben nach meiner Abfahrt noch einiges zu tun: Am Wochenende findet in Alsfeld eine Highlander-Bundesrasseschau statt und Curtis, der Vorzeigebulle, muss für seinen großen Tag herausgeputzt werden*. Ich hoffe inständig, dass ich den beiden in den vergangenen Tagen etwas helfen konnte und keine zusätzliche Belastung war.

Abschied
WWOOF Bauernhof Vogelsbergkreis Biohof Bioland Mitbringsel Apfelsaft Hessen Vogelsbergkreis Kartoffelwurst Bio-Käse Bio-BrotDer Abschied fällt mir schwer. Ich habe wirklich Glück gehabt: Das Wetter war großartig, ich hatte unglaublich nette Gastgeber und interessante Aufgaben. Es hätte auch anders sein können: In Regen, Kälte und/oder mit Gastgebern, mit denen ich nicht so auf einer Wellenlänge liege, hätte der Aufenthalt wesentlich schlechter verlaufen können. Aber ich hatte nun einmal einen tollen Urlaub. Und ich schließe nicht aus, dass ich noch einmal irgendwo auf der Welt wwoofen und vor allem aber Barbara und Jürgen auf dem neuen Hof besuchen werde. Neben einem arg beanspruchten Rücken, der sich zum Zeitpunkt meiner Abreise bereits wieder beruhigt hat, diversen abgebrochenen Nägeln und einer kleinen Blase an der Hand – also alles so wie es nach Arbeit auf dem Bauernhof sein sollte – nehme ich tolles Essen, leckeren Saft, aber auch neues Wissen, viele Eindrücke und etliche wunderbare Erinnerungen mit zurück in die Großstadt.

Im November werden an zwei Tagen Lämmer und ein Ochse geschlachtet – wer Interesse hat, kann „sein“ Stück Fleisch bereits jetzt vorbestellen. Ich habe tatsächlich kurz überlegt, mir einen Tag frei zu nehmen, um nach Hessen zu fahren und dabei zu sein. Schließlich ist es schon interessant, zu wissen, woher etwa das leckere Steak auf meinem Teller kommt. Vielleicht besuche ich aber auch eine Weinverkostung auf dem Hof – die nächste ist übrigens am 15. November. Egal, was es sein wird: Ich bin mir irgendwie ziemlich sicher, dass ich wieder in den Vogelsbergkreis fahren und Barbara, Jürgen, ihre Tochter und die bunte Tierschar besuchen werde. Schließlich muss ich ja noch die Highland Cattles kennenlernen und möchte unglaublich gerne noch einmal mit dem knisternden Ofen in „meinem“ Zimmer – danke für die mehr oder weniger freiwillige Überlassung, Luisa – einschlafen. Und natürlich weitere Aufgaben auf dem Hof finden, die mir Spaß machen.

*Curtis hat übrigens den 2. Platz gemacht.

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Noch mal von vorne

Weitere Informationen zum Thema „Urlaub für Arbeit“ findet Ihr bei WWOOF Deutschland, WWOOF International, Workaway oder Helpx.

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