30 Jahre Mauerfall – Auf die Menschen kommt es an (Blogparade)

Zeulenroda TalsperreIch muss gestehen: Ich bin zunehmend genervt. Vielleicht geht es euch ähnlich. Wenn über „den Osten“ gesprochen wird, höre oder lese ich überwiegend eher Negatives. Alternativ ziemlich flache Witze.
Was Wirtschaft und auch Politik betrifft, mag die negative Tendenz ja zutreffen und natürlich muss darüber gesprochen werden – obwohl es da sicherlich ebenfalls etliche positive Beispiele gibt, die einfach untergehen. Aber ich weigere mich, daran zu glauben, dass es sich hinsichtlich des Negativen bei den Menschen ebenso verhält!

Als ich knapp 15 Jahre nach dem Mauerfall in meinem Freundeskreis verkündete, dass ich „in den Osten rübermache“, waren die Reaktionen fast ausschließlich negativ. Kaum jemand konnte nachvollziehen, dass ich wegen eines Jobs „DAHIN?!“ ziehen wollte. Die Menschen seien komisch, die Städte hässlich, alles irgendwie piefig et cetera et cetera. Übrigens erlebte ich Jahre später nach meiner Entscheidung, nach Bochum zu ziehen, Ähnliches in Thüringen. Meine Kolleginnen waren entsetzt, wie ich ins hässliche und graue Ruhrgebiet ziehen konnte. Kurz angemerkt: Dort ist es (fast) überall grün und die Menschen haben ihr Herz ebenfalls am rechten Fleck. Aber das ist eine andere Geschichte. Vielleicht sollten wir alle einfach häufiger innerhalb Deutschlands reisen.

Ich habe während der Zeit, in der ich in Thüringen und in der Grenzregion zu Thüringen gewohnt habe, viele wunderbare Menschen getroffen. Schade, dass über Menschen wie sie viel zu wenig gesprochen wird. Dabei bin ich sicher, dass sie bei Weitem in der Mehrheit sind. Stattdessen wird häufig so getan, als seien alle Ostdeutschen gleich – natürlich vor allem in einem negativen Kontext.

Mit diesem Post möchte ich das zumindest im Kleinen etwas ändern. Und euch dazu aufrufen, eure positiven Erlebnisse in den östlichen Bundesländern zu teilen. Blogparaden sind ja aktuell mal wieder nicht in Mode, aber trotzdem freue ich mich auf eure Beiträge zum Thema „30 Jahre Mauerfall – Auf die Menschen kommt es an“, die ihr gerne bis zum 9. November auf eurem Blog veröffentlichen und den Link dann hier in den Kommentaren hinterlassen oder mir zusenden könnt. Wenn ihr kein Blog habt und euch beteiligen möchtet, hinterlasst eure Geschichten gerne in den Kommentaren.

Aber hier sind erst einmal meine:

Ankunft an der ehemaligen innerdeutschen Grenze
Ein längeres Praktikum hatte mich ins oberfränkischen Bad Rodach, nicht einmal drei Kilometer von der ehemaligen innerdeutschen Grenze zu Thüringen entfernt, verschlagen. Als ich meine möblierte Wohnung im Dachgeschoss eines alten fränkischen Bauernhauses bezogen hatte, kündigte sich innerhalb weniger Stunden plötzlich eine Mandelentzündung an.

Kurz darauf war sie bereits so schlimm, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich war nicht einmal mehr in der Lage, auf mein Bett zu klettern, das sich auf einer Empore befand, die nur über eine etwa drei Meter hohe Leiter zu erreichen war. Also lag ich auf dem Sofa und kroch bei Bedarf absolut geschwächt und vollkommen verzweifelt minutenlang über den Fußboden ins Bad. Wie ihr vielleicht heraushört, konnte ich in dieser Situation nichts kochen – mal davon abgesehen hatte ich auch noch nichts im Kühlschrank und nur wenig Appetit.

Glücklicherweise hatte ich bereits vor meinem Umzug versucht, online einige Kontakte in der Region zu knüpfen, um in der ländlichen Gegend nicht total zu vereinsamen. Dabei hatte ich eine junge Frau in meinem Alter kennengelernt, mit der ich bereits einige Male hin- und hergeschrieben und telefoniert hatte. Sie wohnte im rund 20 Kilometer entfernten Dörfles-Esbach, kam aber ursprünglich aus einem thüringischen Dorf in der Nähe.

Eigentlich hatten wir uns an diesem Wochenende treffen wollen. Nun musste ich sie per SMS (jaaaa, damals schrieb man die noch) über meine missliche Lage informieren und ihr absagen. Statt die Absage bedauernd hinzunehmen, schritt sie sofort zur Tat: Nur wenige Stunden später stand sie vor meiner Tür und brachte mir eine selbstgemachte Hühnersuppe vorbei. Dank ihrer Hilfe kam ich erst einmal über das Wochenende, eine Kollegin brachte mir dann am Montag Lebensmittel vorbei und langsam ging es bergauf.

Ich habe in meinem Leben nie wieder eine so schlimme Mandelentzündung gehabt und war nur ein- oder zweimal durch eine Krankheit ähnlich außer Gefecht gesetzt wie an diesem Wochenende. Keine Ahnung, wie ich es ohne die Hilfe meiner neuen Bekannten überstanden hätte. Leider haben wir uns nach meinem Wegzug nicht geschafft, dauerhaft in Kontakt zu bleiben. Aber ich bin ihr bis heute für ihren spontanen Einsatz unendlich dankbar.

Ein Hoch auf das Landleben
198414_10150951206794099_461691233_nWenige Jahre später zog nach Eisenberg in Thüringen. Übrigens ist Gunther Emmerlich dort Ehrenbürger und die kleine Barockkirche ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Aber das gehört eigentlich gar nicht hierher.
Jedenfalls wählte ich Eisenberg als Wohnort, obwohl ich im thüringischen Vogtland arbeitete, weil ich es von dort nicht so weit nach Jena und Leipzig hatte. Schöne Städte und vor allem: „richtige“ Städte.

Hierzu noch ein Exkurs: Ich bin in einige kleine Städte und Dörfer in ganz Deutschland gezogen, in deren näherem Umkreis es keine größeren Städte gab. Und seitdem lache ich innerlich sehr, wenn Menschen (wenn auch nur ein kleines bisschen) damit angeben, dass sie in irgendeiner tollen Großstadt irgendwo auf der Welt gearbeitet haben und sich „durchschlagen“ mussten. Ich stelle die These auf: Menschen, die sich in für sie fremden ländlichen Regionen behaupten konnten, schaffen es überall.

Eigentlich gelten Niederrheiner ja verglichen mit anderen Rheinländern eher als ein wenig melancholisch, verknöttert und introvertiert veranlagt. Ich erinnere mich aber noch genau daran, was für ein Kulturschock etwa ein Bäckerbesuch in Thüringen für mich als dann doch vergleichsweise offene und kommunikative Rheinländerin war. Während ich in der Schlange wartete, war es geradezu totenstill, niemand unterhielt sich.

Als ich schließlich an die Reihe kam und meine Bestellung abgegeben hatte, sagte ich freundlich lächelnd irgendetwas wie „Ist das Wetter nicht toll?!“ zu der Verkäuferin. Die sah mich so erschrocken an, wie ich es mir immer bei dem sprichwörtlichen Hasen im Angesicht der Schlange vorgestellt habe. Geweitete Augen, regungslos verharrend und stumm. Ich vermutete, sie rechne jeden Augenblick damit, dass ich eine Waffe ziehen und die Bäckerei überfallen würde.

Das habe ich natürlich weder gemacht, noch war das mein Plan. Aber dieses kleine Erlebnis illustriert ganz anschaulich, wie anders die Menschen in der Region waren und vermutlich auch immer noch sind. Möglicherweise ist das auch typisch(er) für die Landbevölkerung, jedenfalls habe ich etwa in der Pfalz eine ähnliche Verschlossenheit erlebt. Diese lässt sich aber zumindest meiner Erfahrung nach in wenigen Monaten weitaus schwieriger bis gar nicht durch kontinuierliche Freundlichkeit und Zuverlässigkeit auflösen als in Thüringen. Was mich meine Erlebnisse in Thüringen allerdings noch weitaus mehr schätzen lässt.

Hilfsbereitschaft in Leipzig
Natürlich versuchte ich auch in Thüringen, einen neuen Freundeskreis aufzubauen. Kurze Zeit nach meiner Ankunft verabredete ich mich mit einer Leipzigerin auf einen Kaffee. Da ich mich in Leipzig zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht auskannte, erkundigte ich mich bei ihr, wo ich am besten parken könne. Ich sagte ihr, dass ich aus Richtung Leuna, zwischen Halle und Leipzig gelegen, käme, weil ich dort bei Ikea noch etwas kaufen müsse. Daraufhin bot sie an, mich dort abzuholen. Das sei wesentlich einfacher, als mir zu erklären, wo ich genau hinfahren müsse. Außerdem müssten wir so nur einen Parkplatz suchen und eventuell bezahlen. Und später könne sie mich auch wieder zurückfahren.

Um das Ganze für Ortsfremde etwas zu verdeutlichen: Die Ikea-Filiale liegt rund 17 Kilometer vom Leipziger Stadtzentrum entfernt und ihre Wohnung nicht in der Nähe. Sie hätte mir ihre Hilfe gar nicht anbieten müssen, schließlich war ich für sie eine ebenso vollkommen Fremde wie sie für mich. Das hat sich dann übrigens schnell geändert, wir waren einige Jahre sehr gute Freundinnen und haben viel miteinander unternommen.

Ein außergewöhnlicher Parkservice
269223_10150953782144099_2048293705_nAuch ins schöne Jena knüpfte ich langsam Kontakte. Wenige Wochen nach meinem Umzug traf ich mich dort mit einer Jenaerin. Wir unterhielten uns bei einem Kaffee und verstanden uns direkt gut. Ich fragte sie, ob sie zufällig einen Tipp hätte, wo ich während meiner drei Wochen Australien-Rundreise mein Auto am Bahnhof stehenlassen könne. Sie schaute mich mit großen Augen an und meinte nur: „Nirgendwo. Das wird aufgebrochen.“ Dann bot sie mir an, mich zum Bahnhof zu fahren und den Wagen im Anschluss an die Tankstelle zu stellen, in der sie arbeitete. So könne sie es besser im Auge behalten.

Wenn mir jemand eine solche Geschichte erzählte, schlüge ich die Hände über dem Kopf zusammen und würde ihn naiv schimpfen. Vielleicht war ich das auch, aber irgendwie wusste ich, dass das alles so passte.

Und so fuhr ich kurze Zeit später mit ihr zum Bahnhof, gab ihr meinen Autoschlüssel und verabschiedete mich für drei Wochen nach Australien. Bei meiner Rückkehr holte sie mich vom Bahnhof ab und informierte mich darüber, dass einige Autos in der Nähe der Tankstelle aufgebrochen worden waren. Deshalb sei sie mit ihrem Vater im Auto zur Tankstelle gefahren und habe mein Auto bei sich zu Hause vor die Tür gestellt. Auch das war der Beginn einer guten Freundschaft. Wir haben bis heute zumindest sporadisch Kontakt.

Was zählt
Ich war und bin bis heute ziemlich sicher, dass mir diese Erlebnisse in absteigender Reihenfolge mit einer immer geringeren Wahrscheinlichkeit im Westen Deutschlands passiert wären. Mir ist im Osten eine besondere Form von Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit zuteil geworden, wie ich sie hier kaum kannte und wie sie mir hier auch in abgeschwächter Form leider immer weniger begegnet. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich nicht mehr darauf angewiesen bin.

Dank des Mauerfalls konnte ich einen tollen Job annehmen, eine wunderbare Katze bei mir aufnehmen, viel lernen und durfte großartige Menschen kennenlernen im Westen wie im Osten denen ich sonst nie begegnet wäre. Kurz: Ohne den Mauerfall wäre mein Leben um so vieles ärmer gewesen. Und das lässt mich noch dankbarer für ihn sein, als es sowieso schon bin.

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